Härtefallregelung gegen Eigenbedarfskündigung

BGH, Urteil vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/15
Wohnraummietrecht

Sachverhalt:

Die Mieter wohnen seit 1997 in einem Haus mit drei Wohnungen. Die Mieter bewohnen die Erdgeschosswohnung. Der Sohn des ursprünglichen, im Prozess verstorbenen, Vermieters bewohnt mit seiner vierköpfigen Familie das Obergeschoss des Hauses. Im Dachgeschoss befindet sich weitere Räumlichkeiten, welche leer stehen. Der ursprüngliche Vermieter, hatte für seinen Sohn wegen Eigenbedarfs gekündigt. Beabsichtigt war, die beiden Wohnungen sowie die Räumlichkeiten im Dachgeschoss zusammenzulegen.

Die Mieter widersprachen der Eigenbedarfskündigung und beriefen sich auf eine persönliche Härte. Der im Jahre 1930 geborene Mieter habe zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen und eine beginnende Demenz, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen werde. Der Vermieter klagte auf Räumung und gewinnt beim Landgericht. Das Landgericht hatte die beginnende Demenz, ohne Beweiswürdigung, als wahr unterstellt und ist bei einer Interessenabwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass das Eigennutzungsinteresse der Vermieter überwiege.

Entscheidung:

Der BGH führt aus, die Eigenbedarfskündigung sei zwar rechtmäßig, allerdings kann kein Räumungsanspruch zuerkannt werden. Denn das Landgericht hat das Fortsetzungsverlangen der Mieter nicht angemessen gewürdigt. Der Mieter kann nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Das Landgericht hat sich rechtsfehlerhaft auf eine lediglich formale Unterstellung der von den Mietern vorgetragenen Härtegründen als wahr beschränkt und es dadurch unterlassen, diese Gründe mit der Ihnen nach dem Vorbringen der Mieter in Wirklichkeit zukommenden Bedeutung in die Härtefallabwägung einzustellen und zu gewichten. Die getroffene Wahrunterstellung hat dem Landgericht vielmehr den Blick für das danach im Streitfall unabweisbar bestehende Erfordernis versperrt, sich ein in die Tiefe gehendes eigenständiges Bild von den auf ein Erfordernis zur Beibehaltung der bisherigen Wohnung hinweisenden Interessen der Mieter zu verschaffen. Denn nicht zuletzt auch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass die Gerichte bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr verfassungsrechtlich gehalten sind, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das Urteil des Landgerichts wird aufgehoben und der Rechtstreit zur Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht zurückverwiesen.

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